Die Villa des Justizrates Leonhard Wahrburg

Ein Stolperstein an der Villa Johannistorwall 1 in Lemgo
erinnert an Justizrat Leonhard Wahrburg, geb. 31.08.1860 in Königsberg i.d. Neumark

Die folgenden Informationen wurde im wesentlichen zusammengetragen von Frau Hanne Pohlmann mit Ergänzungen aus mündlicher Überlieferung unserer Patienten.

Die Eltern David Wahrburg und Clothilde, geb. Wolf, lebten in Königsberg, Neumark und waren vom jüdischen zum protestantischen Glauben konvertiert. Anmerkung unseres Patienten Helmut Frische: Der Ort fiel nach dem 2. Weltkrieg, im Zuge der “Westverschiebung“ Polens durch die Sowjetunion, zunächst in polnische Verwaltung und gehört nun unter dem Namen „Chojna“ zum polnischen Staatsgebiet.

Leonhard Wahrburg ließ sich 1893 als Rechtsanwalt in Lemgo nieder und heiratete 1896 Martha Tintelnot (1874-1953).

Die Kanzlei befand sich zunächst im schwiegerelterlichen Haus Mittelstraße 143 (früher St. Johannistor 191 direkt neben der Kirche St. Johann, das Haus wurde 1959 abgerissen).
1913 erfolgte der Bau des repräsentativen Hauses am Johannistorwall (Architekt Hugo Mesch, Lemgo).

Leonhard Wahrburg gilt als erster Automobilbesitzer Lemgos und war Schriftführer des 1909 gegründeten Lippischen Automobil-Club e.V.

In den Jahren 1902-1907 und 1914-1918 war er Stadtverordneter in Lemgo.

1914 vor Kriegsbeginn anlässlich des fürstlichen Geburtstages wurde ihm der Titel „Justizrat” verliehen, der nur wenigen lippischen Juristen zuteil wurde.

Am 1.April 1933, dem sog. Boykott-Tag (Boykott jüdischer Geschäfte „Deutsche kauft nicht bei Juden”) standen SA-Wachen vor der Kanzlei, die Fenster der Villa am Johannistorwall wurden eingeworfen.

18. November 1933 Leonhard Wahrburg nahm sich das Leben.

Was zu seinem Freitod zu diesem Zeitpunkt geführt hat, muss ungeklärt bleiben. Sicher ist, daß die antisemitische Hetzpresse täglich von „Maßnahmen” gegen jüdische Juristen berichtete. Gewiss habe er und seine Familie darunter gelitten. Denkbar ist auch, daß „seine” Kanzlei unter dem ehemaligen Sozius nicht in seinem Sinne geführt wurde. Vorstellbar zudem, dass er sich gewehrt hatte und Opfer von Denunziantentum geworden ist. Stark anzunehmen ist jedenfalls, dass er um die Aussichtslosigkeit wusste, über seine Kanzlei und seine Arbeit jemals wieder seine gesellschaftliche Stellung und sein Ansehen zu erlangen.

Hier sei angemerkt, daß von den Lemgoer Mitbürgern jüdischen Glaubens nur 3 den Holocaust überlebten. Auch in Lemgo brannte in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 die Synagoge.
Anmerkung von Helmut Frische: “Eindrucksvoll ist, wie früh und wie tief in unserem Lemgo der Antisemitismus verwurzelt war und dass Bürger, die sich vermutlich ihrer jüdischen Abstammung nicht einmal mehr bewusst waren, und die mit verantwortlichem Bürgersinn zur Gestaltung Lemgos beigetragen hatten, schon 1933 derartigem Hass ausgesetzt waren, dass sie in den Freitod getrieben wurden. Dass Carla Raveh, geb. Frenkel nach ihrem Überleben des Holocaust die Ehrenbürgerschaft dieser Stadt annahm, war eine großzügige Geste, die für unsere Stadt zugleich eine unverdiente Ehre und für alle Zukunft eine menschenrechtliche Verpflichtung darstellt.”

Als offizielle Todesursache gab die Familie Wahrbug Herzversagen an. Die Predigt der Trauerfeier am 21.November 1933 stand unter dem Bibelwort: „Die Liebe hört niemals auf.” Dieser Satz ist auch auf dem Grabmonument festgehalten.

Frau Martha Wahrburg, die Ehefrau des Justizrates, lebte mit Ausnahme der britischen Besatzungszeit, in der die Villa für das britische Offizierskasino konfisziert wurde, bis zu ihrem Tode in der Villa am Johannistorwall.

Die Ehe von Leonhard und Martha Wahrburg blieb kinderlos. Er förderte seinen Neffen, den späteren Professor für Kunstgeschichte, Hans Tintelnot (1909 – 1970)

www.kunstgeschichte.uni-kiel.de/geschichte-und-abschlussarbeiten/kik-tintelnot

Dessen Ehefrau, Dr. Monika Tintelnot, baute nach der Währungsreform das Lippische Volksbildungswerk auf und wurde Leiterin der Volkshochschule Lemgo. (Sie heiratete in zweiter Ehe den Anthropologen Helmuth Plessner.)

Anghörige der Familie leben seit Jahrzehnten nicht mehr in Lemgo.

Diese Zeilen haben wir 2017 verfasst. Auf den sehr guten Artikel im Gemeindeblatt “Kontakte” aus 2021 der Gemeinde St. Johann in Lemgo wird ausdrücklich verwiesen. Mit Genehmigung des Verantwortlichen der Kontakte-Redaktion, Herrn J. Hagemann, dürfen wir den Artikel auf unserer Seiten hosten und Bilder nutzen.

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